Eine intensive, interdisziplinäre Erforschung des Mittleren Schwarzmeer-Küstengebietes, speziell die Untersuchung eines „key-site“ und damit verbunden die Errichtung eines stratigraphischen Gerüstes ist ein Desiderat der Kleinasiatischen Archäologie. Dies gilt um so mehr seit den Untersuchungen von L. Thissen an der frühbronzezeitlichen Keramik des Dündartepe-Samsun und von U. Schoop an der Büyükkaya- und Yarıkkaya-Keramik von Hattuša-Bogazköy, die die lange Zeit wegweisende Chronologie der „Bronzezeit in Inneranatolien“ in Zweifel zogen. Inzwischen gilt es als sicher, daß die Entwicklung mindestens bis in das frühe Chalkolithikum, d.h. bis in das 6. Jahrtausend, zurückreicht. Das bedeutet, daß die möglicherweise bereits im dritten Jahrtausend eingewanderten „indogermanischen Uranatolier“ schon eine Kulturlandschaft vorfanden.
Der Oymaağaç Höyük bietet als „Schlüsselort“ ideale Voraussetzungen, da er nach den bisherigen Erkenntnissen eine durchgehende Besiedlung mindestens von der Frühen Bronzezeit bis zur Mittleren Eisenzeit aufweist und sich inmitten jenes Gebietes befindet, das zum Kerngebiet dieser Einwanderung gerechnet werden darf.
Das Interesse sowohl der Einwanderer als auch der „gesettelten“ Hethiter läßt sich mit den reichen Kupfer-, Arsen-, Silber- und Eisenvorkommen des Pontusgebirges, z.B. in Bakırçay, begründen. Den hohen Stand der Metallurgie bereits in der Frühen Bronzezeit dokumentieren die sog. Fürstengräber aus Alaca Höyük, ein Hortfund aus Eskiyapar sowie die von Raubgräbern geplünderten Gräberfelder mit reichen Metallbeigaben in Balıbağı und Oymaağaç-Göller nahe der Stadt Amasya. Ähnlichkeiten zwischen Objekten aus diesen Orten und aus Troja bzw. aus Poliochni (Ägäis) veranlaßten bereits M. Mellink, auf die Bedeutung des Überlandhandels zwischen Zentralanatolien und Troja hinzuweisen. Auch vom Oymaağaç Höyük wird der Fund von drei frühbronzezeitlichen Bronzewaffen, darunter ein Dolch und eine Speerspitze, berichtet. Ersterer ist in Westanatolien, u.a. in Troja II, letztere in Zentralanatolien gut belegt. Dazu gesellt sich ein 7 cm langer, bronzener Meißel. Ihre Analyse soll Hinweise auf Lagerstätten, Verkehrswege und Handelskontakte geben.
Die Tatsache, daß sowohl die römerzeitliche „Pontische Straße“ („Neapolis“ / “Neoclaudiopolis“ = Vezirköprü), als auch ein osmanischer Karawanenweg (Köprülü Mehmet Pascha Kervansarayı in Vezirköprü) unmittelbar durch unser Untersuchungsgebiet führten, könnte darauf hindeuten, daß hier die Tradition einer Jahrtausende alten Ost-West-Verkehrsverbindung fortgesetzt wurde. Auch in Nord-Süd-Richtung, d.h. für die Verbindung zwischen Schwarzmeerküste und Zentralanatolien, besaß die Siedlung von Oymaağaç erhebliche Bedeutung, da nur zwei Wege diese Verbindung ermöglichen. Die Hauptroute verläuft damals wie heute von Samsun über Kavak, Havsa und Merzifon nach Çorum. Eine zweite, wenngleich schwierigere Nebenstrecke führte von der Bafra-Ebene durch die Berge, überquert in der Nähe von Oymaağaç den Kızılırmak, um beim östlich gelegenen Orte Havza auf die Çorum-Samsun-Verbindung zu treffen. Wer also Oymaağaç kontrollierte, sicherte sowohl einen wichtigen Flußübergang als auch einen zweiten Zugang zur Schwarzmeerküste. Das mögen die Gründe dafür sein, warum der Ort in der Mittleren und Späten Bronzezeit zum Zankapfel zwischen Hethitern und Kaschkäern avancierte. Wo genau die Grenze zwischen Hethitern und Kaschkäer verlief, ist ebenso umstritten wie die Frage, wer die Kaschkäer überhaupt waren.
Auch die Frage nach dem Aussehen der hethitischen Kultur am Nordrand des Reiches verglichen mit der hethitischen Hauptstadt Hattuša ist interessant. An der Oberfläche des Oymaağaç Tepe sichtbare Reste einer Befestigungsmauer sowie monolithische Blöcke eines monumentalen Einganges einer unterirdischen Konstruktion (eine Poterne oder eine Quellgrotte), die in der Bautechnik ähnlichen Anlagen aus Hattuša gleicht, lassen eine gleichartige Architekturtradition annehmen. Aber wie verhält es sich mit künstlerischen Erzeugnissen? Vergegenwärtigt man sich den krassen Unterschied zwischen den Bildwerken aus Hattuša und Alaca Höyük, das gerade einmal 35 km entfernt liegt, fragt man sich, wie die Bildwerke an der Peripherie im knapp 200 km entfernten Oymaağaç ausgesehen haben mögen.
Ein weiteres wichtiges Problem stellt die zeitliche Einordnung der hethitischen Keramik dar. Trotz hundertjähriger Ausgrabungen in Hattuša, zeigten die jüngsten Untersuchungen in Kuşaklı/Sarissa, daß die für sicher gehaltene Keramikstratigraphie von Hattuša stark revisionsbedürftig ist.
Nicht minder spannend ist die Frage nach dem Untergang des hethitischen Reiches bzw. nach dem Übergang zur Frühen Eisenzeit. Wer oder was bedingte das Ende des mächtigen hethitischen Reiches? Innerdynastische Schwierigkeiten, Versorgungsengpässe und/oder gar die Kaschkäer? Was geschah danach? Kam es zur Einwanderung neuer Volksgruppen (Phryger? Muški?) von Westen oder Osten oder arrangierte sich die verbliebene Restbevölkerung mit den seit längerer Zeit im Bergland ansässigen Kaschkäern? Metallverarbeitende Werkstätten aus der Frühen Eisenzeit, die jüngst in Hattuša-Büyükkaya entdeckt wurden, nähren den Verdacht, daß es sich bei den Neuankömmlingen tatsächlich um Metallhandwerker aus den pontischen Bergen handeln könnte. Wie vollzog sich der Übergang an der Nordgrenze des hethitischen Reiches? Läßt sich – ähnlich wie in Hattuša – eine Rückkehr zur bemalten Keramik beobachten, wie sie am Ende der Frühe Bronzezeit im nördlichen Zentralanatolien üblich war? Läßt sich im Norden gar – wie vermutet wird – eine Kontinuität der bemalten Ware von der Frühen Bronze- bis zur Frühen Eisenzeit beobachten? Eine Antwort ist nur durch einen systematischen Survey und der Ausgrabung einer Siedlung mit „Late Bronze Age and Iron Age layers in the Central Black Sea Region, such as Oymaağaç Höyük“ möglich.
Vorarbeiten wurden insbesondere durch B. Alkım und seinen Schüler Ö. Bilgi geleistet, die zwischen 1971 und 1978 Geländebegehungen in verschiedenen Teilen der Provinz Samsun durchgeführt und erstmalig auf die Bedeutung des Oymaağaç Höyük aufmerksam gemacht haben. Eine knappe Gesamtübersicht wurde von Z. Kızıltan veröffentlicht. Darin werden für den Landkreis Vezirköprü 6 Siedlungshügel und Flachsiedlungen, 5 römische und spätantike Fundplätze, 12 Tumuli und 2 Felsgräber aufgezählt. Aufgrund der von mir während des Regionalsurveys in der Umgebung von Hattuša-Boğazköy gemachten Erfahrungen dürfte dies jedoch nur ein Teil der vorhandenen Fundplätze sein – eine Einschätzung, die sich bereits nach unserer ersten Feldforschungskampagne bestätigte.